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Kirchengericht:Verwaltungskammer der Evangelischen Kirche von Westfalen
Entscheidungsform:Urteil (rechtskräftig)
Datum:24.09.2003
Aktenzeichen:VK 10/02
Rechtsgrundlage:§ 84 Abs. 1 + 2 PfDG
Vorinstanzen:keine
Schlagworte:Abberufung, Pfarramt
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Leitsatz:

Bei Abberufungsverfahren von Pfarrern stellen § 84 Abs. 1 Nr. 2 und § 84 Abs. 2 PfDG eigenständige Abberufungstatbestände dar. Eine Entscheidung über eine Abberufung nach § 84 Abs. 2 PfDG bedarf eines entsprechenden Antrages.

Tenor:

Der Beschluss der Kirchenleitung der Beklagten vom 11. Juli 2002 auf Abberufung des Klägers aus der zweiten Pfarrstelle der Evangelischen Kirchengemeinde, Kirchenkreis, und der hierzu ergangene Bescheid des Landeskirchenamtes vom 16. Juli 2002 werden aufgehoben.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
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Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Abberufung aus der zweiten Pfarrstelle der Evangelischen Kirchengemeinde, im Kirchenkreis, in der er seit dem 8. Dezember 1989 seinen Dienst versehen hat.
Ausgelöst von einem Beitrag des Klägers unter der Überschrift „HOMO-EHE in Kraft“, in dem der Kläger u. a. mit Bibelzitaten dezidiert seine ablehnende Haltung zum Ausdruck brachte, kam es im Spätsommer/Herbst 2001 zu Auseinandersetzungen um die Herausgabe des Gemeindebriefs (Gemeindespiegel 80 bzw. 80 a), die letztlich vom Presbyterium der Kirchengemeinde unterbunden wurde.
In der Sitzung vom 11. Februar 2002 fasste das aus 12 Mitgliedern bestehende Presbyterium mit acht Stimmen bei drei Gegenstimmen folgenden „Beschluss über die Aufhebung der Übertragung der Pfarrstelle II der Kirchengemeinde gemäß § 84 Abs. 1, Punkt 2 des PfDG“:
„Aufgrund der Vorkommnisse in den letzten Wochen und Monaten und der weiter zurückliegenden Geschehnisse im Verhältnis zwischen Pfarrer und dem Presbyterium sieht das Presbyterium keine Perspektive mehr für ein gedeihliches Miteinander im Interesse des Gemeindeaufbaus der Evangelischen Kirchengemeinde N......
Der Bitte des Presbyteriums, eine einvernehmliche Regelung im Blick auf die Beendigung des pfarramtlichen Dienstes in der Gemeinde zu treffen, ist Pfarrer Z. nicht nachgekommen.
Deshalb sieht sich das Presbyterium nicht in der Lage, das Pfarrdienstverhältnis aufrecht zu erhalten.
Es beantragt die Aufhebung der Übertragung der Pfarrstelle II der Evangelischen Kirchengemeinde an Pfarrer Z. gemäß § 84 Abs. 1, Punkt 2 des Pfarrdienstgesetzes.“
Daraufhin wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 13. Februar 2002 an die Mitglieder des Kreissynodalvorstandes und führte darin u. a. aus, er lege Widerspruch gegen die bisherigen Vorgehensweisen ein. Gedeihliche Zusammenarbeit allein könne nicht oberstes Prinzip der Kirche sein, wenn nicht Jesus Christus, sein Auftrag und sein Wort uneingeschränkt im Vordergrund stünden; der Grundkonflikt hinter der nicht gedeihlichen Zusammenarbeit in N… und in anderen Fällen, um die er wisse, sei der zwischen der uneingeschränkten Nachfolge Jesu Christi im Ernstnehmen seines Wortes und einer „weltoffenen“, humanistischen und liberalen Glaubensrichtung bis in der Mehrheiten der Presbyterien hinein.
Der Kreissynodalvorstand des Kirchenkreises .... fasste am 11. März 2002 mit den Stimmen seiner sämtlichen acht ordentlichen Mitglieder folgenden Beschluss:
„Der KSV stimmt dem Antrag der Ev. Kirchengemeinde N. auf Aufhebung der Übertragung der 2. Pfarrstelle an Pfarrer Z. zu und macht sich die Ausführungen des Superintendenten, die dieser dem Landeskirchenamt zur Dokumentation der Begründung des Abberufungsverfahrens vorgelegt hat, zu Eigen. Der KSV sieht in der Dokumentation die Begründung für das Abberufungsverfahren im Blick auf die Frage des gedeihlichen Miteinanders als gegeben an. Das Schreiben von Pfarrer Z. an die KSV-Mitglieder bestätigt die Differenzen, die in der Gemeindearbeit und insbesondere im Zuge der Auseinandersetzungen ihren Ausdruck finden.“
Bereits mit Verfügung vom 12. Februar 2002 hatte der Superintendent des Kirchenkreises … den Kläger gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 des Pfarrdienstgesetzes (PfDG) mit sofortiger Wirkung von den pfarramtlichen Diensten beurlaubt. Mit Beschluss vom 30. April 2002 beurlaubte das Landeskirchenamt (LKA) des Beklagten den Kläger mit sofortiger Wirkung gemäß § 86 Abs. 1 PfDG.
In seiner Sitzung vom 17. April 2002 wurde das Presbyterium der Kirchengemeinde N. vom LKA zu der – wie es in der hierzu von der Mitarbeiterin des LKA gefertigten Niederschrift heißt – „beabsichtigten Abberufung von Herrn Pfarrer Z. gemäß § 84 I Nr. 2 PfDG“ angehört. Ausweislich der Niederschrift wurde „zusammenfassend als Hauptgrund für die Beschlussfassung, Pfarrer Z. gem. § 84 I Nr. 2 PfDG abzuberufen, der Vertrauensverlust des Presbyteriums zu Pfarrer Z. benannt, der mit der Art und Weise seines Auftretens (Beobachtung einer gewissen Selbstherrlichkeit), dem Übergehen des Presbyteriums in seiner Funktion als Leitungsorgan begründet wurde. Bezüglich der nicht erfüllten und demzufolge enttäuschten Erwartungshaltung des Presbyteriums wurden exemplarisch benannt:
die fehlende kooperative Zusammenarbeit mit dem Presbyterium und allen Mitarbeitern der Kirchengemeinde;
die fehlende Integration in das vorgefundene Gemeindeleben;
die nicht vorhandene Kooperationsfähigkeit, die erforderlich sei, um in Ruhe und Frieden zusammenarbeiten zu können;
die mangelnde Fähigkeit, als Vorsitzender des Presbyteriums einen Ausgleich zwischen divergierenden Parteiungen schaffen zu können und im Zweifel eine befriedende Funktion wahrzunehmen.“
Nachdem der Kläger am 24. Mai und 26. Juni 2002 durch das LKA zu der beabsichtigten Abberufung angehört worden war, fasste die Kirchenleitung in ihrer Sitzung vom 11. Juli 2002 entsprechend dem Vorschlag des LKA folgenden Beschluss: „Pfarrer Z., 2. Pfarrstelle der Ev. Kirchengemeinde N., Kirchenkreis ...., wird mit Ablauf des 31. Juli 2002 aus der Pfarrstelle abberufen gemäß § 84 Abs. 2 Pfarrdienstgesetz“. In der Begründung des hierzu ergangenen Bescheides des LKA vom 16. Juli 2002 ist u. a. Folgendes ausgeführt:
„Über die Jahre hinweg wurde im Presbyterium mit Ihnen über theologische Fragen, die unterschiedlich betrachtet werden, insbesondere um angemessene theologische Haltung zur Trauung Geschiedener, zur Taufe von Kindern nicht verheirateter Paare, zur Praktizierung homosexuellen Verhaltens sowie zur angemessenen Gestaltung des Konfirmandenunterrichts diskutiert. Grund waren immer wieder Klagen aus der Gemeinde bezüglich Ihres Verhaltens zu diesen Fragestellungen. Vom Presbyterium musste immer wieder die Art und Weise diskutiert werden, in der Sie in den angesprochenen Bereichen jede Infragestellung der von Ihnen vertretenen Positionen blockierten und Andersdenkenden den rechten Glauben absprachen. Die Art und Weise Ihres Umgangs mit Gemeindegliedern führte auch für Ihren Kollegen immer wieder neu zu Rechtfertigungszwängen für die von Ihnen vertretene Einstellung, wenn er denn die von Ihnen abgelehnten Amtshandlungen übernahm.
Das wesentliche Ereignis, welches für die überwiegende Mehrzahl der Presbyter die weitere Annahme Ihres Dienstes in der Gemeinde ausschließt, war dann allerdings Ihre Verlautbarung zur Homosexualität im Gemeindebrief im September 2001. Mit den dort verwendeten Formulierungen verlassen Sie die Ebene der sachgemäßen Diskussion eines theologisch umstrittenen Themas und verletzen sowie diffamieren
anders denkende Mitchristen in ihrem religiösen Empfinden. Sie brachten sodann gegenüber dem Superintendenten auch zum Ausdruck, dass Sie nicht bereit seien, Ihren Artikel zurückzuziehen, da es für Sie darum gehe, kompromisslos die biblische Wahrheit zu verkünden.
Das Presbyterium hat über die Jahre hinweg die Auseinandersetzungen um die unterschiedlichen theologischen Auffassungen mitgetragen und insoweit entsprechend Artikel 35 KO seine Pflicht erfüllt. Dass dieses Presbyterium eine Weiterführung dieser Situation jedoch nicht mehr für vertretbar hält, wenn die Schroffheit Ihrer Haltung gegenüber Andersdenkenden sich in der Form dokumentiert, in der Sie im Gemeindebrief die Frage homosexuellen Verhaltens anschneiden, ist nachvollziehbar und vertretbar. Sie haben in der Art, in der Sie auf den Inhalten Ihres Gemeindebrief-Artikels bestanden, andere nicht nur verletzt oder diffamiert, Sie haben sich vielmehr gegenüber anders denkenden Gemeindegliedern sprachunfähig gemacht. Sie haben auch in der Diskussion dieser Thematik in keiner Weise ein Einlenken gezeigt und Anhaltspunkte dafür gegeben, dass ein Neuanfang in N. möglich sein könnte. Vielmehr dokumentiert Ihr Schreiben an den Kreissynodalvorstand vom 13.02.2002, insbesondere in Punkt 5, dass das Presbyterium fürchten muss, künftig noch stärker als bisher mit einer jeden Andersdenkenden des Heidentums bezichtigenden Haltung konfrontiert zu sein. Auch haben Sie in Ihrer Anhörung zu dieser Thematik nichts anderes deutlich gemacht, als dass Sie in N. als Pfarrer weiter wie bisher wirken wollen; Umkehr heiße für Sie „Umkehr des Sünders“, nicht etwa, dass die Kirche liberal werde. Das Presbyterium hat zu keinem Zeitpunkt von Ihnen eine „liberale“ Haltung im Sinne einer Gleichgültigkeit erwartet, vielmehr würde dieses auch der Auffassung des Presbyteriums zutiefst widerstreben. Das Presbyterium muss aber nach Auseinandersetzungen, wie sie hier geführt worden sind, erwarten dürfen, dass ein Pfarrer die Unzumutbarkeit der Form, in der er seine Haltung bekundet, einsieht und deutlich macht, dass dergleichen sich nicht wiederholen wird – Sie beschränkten sich aber auf einen allgemeinen theologisch richtigen, im Kontext mit der Erwartung an eine gedeihliche Zusammenarbeit der Gemeinde aber belanglosen Satz von der Umkehr des Sünders.
Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar und plausibel, wenn das Presbyterium zu der Überzeugung gelangt ist, dass ein gedeihliches Wirken für Sie im Pfarramt dieser Gemeinde nicht mehr möglich sein wird.“
Weiter heißt es in dem Bescheid, das Presbyterium habe mit der in § 84 Abs. 2 Pfarrdienstgesetz vorausgesetzten Mehrheit die Abberufung beantragt; Gleiches gelte für den ergänzenden Antrag des Kreissynodalvorstandes. Angesichts dieser Sachlage halte die Kirchenleitung einen Beschluss, der diesen Anträgen entspreche, für die gebotene Entscheidung; von milderen Mitteln wie etwa dienstlichen Weisungen oder Abmahnungen könne nicht mehr eine Lösung der Probleme, wie sie sich jetzt darstellten, erwartet werden.
Mit der gegen seine Abberufung erhobenen Klage macht der Kläger geltend: Es fehle bereits an dem für eine Abberufung nach § 84 Abs. 2 PfDG notwendigen Antrag der Kirchengemeine. Denn deren Antrag sei nach dem Wortlaut des vom Presbyteriums gefassten Beschlusses eindeutig auf eine Abberufung nach § 84 Abs. 1 Ziff. 2 PfDG gerichtet gewesen. Auch die Anhörung des Presbyteriums durch das LKA habe sich auf § 84 Abs. 1 Ziff. 2 PfDG bezogen. Die Kirchenleitung habe daher keine Abberufung nach § 84 Abs. 2 PfDG, bei dem es sich um einen selbstständigen Abberufungstatbestand handele, beschließen dürfen, sodass schon aus diesem Grund die getroffene Entscheidung rechtswidrig sei.
Hilfsweise trägt der Kläger darüber hinaus vor, die Entscheidung der Beklagten sei auch materiell ermessensfehlerhaft, weil die Begründung des Bescheides eine Abwägung der beteiligten Interessen nicht erkennen lasse. Es sei nicht beachtet worden, dass das Abberufungsverfahren kein Ersatz für ein Disziplinarverfahren oder aber ein Lehrbeanstandungsverfahren sei. Soweit dem Kläger vorgeworfen werde, dass seine theologische Auffassung von Taufe bzw. Trauung von Geschiedenen nicht durch die Kirchenordnung bzw. Schrift und Bekenntnis gedeckt sei, hätte entweder disziplinarrechtlich oder aber im Rahmen eines Lehrbeanstandungsverfahrens gegen ihn vorgegangen werden müssen. Es liege der Verdacht nahe, dass mit seiner Abberufung eine unangenehme theologische Stimme zum Schweigen gebracht werden solle. Im Übrigen seien die gegen ihn erhobenen Vorwürfe im Wesentlichen lediglich pauschal und würden nicht durch Tatsachen belegt. Die Möglichkeit nachzuweisen, dass in der Gemeinde eine Zerrüttung nicht gegeben sei, sei ihm nicht eingeräumt worden.
Den im „Verlaufsprotokoll“ des Superintendenten sowie im Anhörungsprotokoll erhobenen Vorwürfen tritt der Kläger mit Beweisangeboten entgegen.
Der Kläger beantragt,
den Beschluss der Kirchenleitung der Beklagten vom 11. Juli 2002 auf Abberufung des Klägers aus der 2. Pfarrstelle der Evangelischen Kirchengemeinde N., Kirchenkreis, und den hierzu ergangenen Bescheid des Landeskirchenamtes vom 16. Juli 2002 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass die Abberufung des Klägers keine Fehler in formeller oder materieller Hinsicht erkennen lasse. Es seien sowohl die Tatbestandsvoraussetzungen des § 84 Abs. 1 Nr. 2 PfDG als auch des § 84 Abs. 2 PfDG gegeben. Der Sachverhalt der Zerrüttung, wie ihn § 84 Abs. 1 Nr. 2 PfDG erfordere, liege vor. Dies belegten Einzelbeispiele aus dem Protokoll über die Anhörung des Presbyteriums der Kirchengemeinde N. vom 17. April 2002. Selbst wenn die Abberufung nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 PfDG noch hinterfragt werden sollte, sei die Abberufung wirksam, da die Voraussetzungen des § 84 Abs. 2 PfDG gegeben seien. Das Presbyterium der Kirchengemeinde N. habe den Beschluss, die Abberufung des Klägers zu beantragen, mit der in § 84 Abs. 2 PfDG vorausgesetzten Mehrheit gefasst; der Kreissynodalvorstand habe dem Antrag einstimmig, also ebenfalls mit der notwendigen Mehrheit, zugestimmt. Insoweit sei die Abberufung des Klägers auch nicht deshalb unwirksam, weil der Antrag des Presbyteriums auf Abberufung gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 2 PfDG gelautet habe. Die Kirchenleitung sei an diesen Antrag nicht gebunden, sondern könne bei gleichzeitigem Vorliegen der Voraussetzungen des § 84 Abs. 2 PfDG die Abberufung auch mit der Nennung dieses Paragrafen begründen. Im Übrigen sei, wie auch die falsche Diktion („Aufhebung der Übertragung“) zeige, der Wortlaut für das Presbyterium nicht entscheidend gewesen. Es habe einfach die Abberufung gewollt; und nur darauf komme es an. In Ausübung des ihr nach dieser Vorschrift zustehenden Ermessens sei die Kirchenleitung zu dem Ergebnis gelangt, dass aufgrund der vorliegenden unumkehrbaren Zerrüttung zwischen dem Kläger und der Kirchengemeinde nur eine Abberufung des Klägers in Betracht komme, die auch verhältnismäßig sei. Mildere Mittel im Rahmen der Dienstaufsicht hätten keinen ernsthaften Erfolg mehr versprochen, weil die Zerrüttung bereits zu tief greifend gewesen sei und der Kläger diese seinerseits vertieft habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten des Landeskirchenamtes Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.
Die angefochtene Entscheidung der Kirchenleitung, den Kläger aus seiner Pfarrstelle abzuberufen, und der hierzu ergangene Bescheid des LKA sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Ausweislich des ergangenen Bescheides ist die Abberufung allein auf § 84 Abs. 2 PfDG gestützt, der gegenüber § 84 Abs. 1 PfDG einen eigenständigen Abberufungstatbestand
so ausdrücklich Verwaltungsgerichtshof der Evangelischen Kirche der Union, Urteil vom 12. November 1999 – VGH 15/98 –, in: Rechtsprechungsbeilage 2001 zum Amtsblatt der Evangelischen Kirche in Deutschland, S. 18, 20
darstellt. Mithin ist es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Abberufungsentscheidung unerheblich, ob, worauf die Beklagte im gerichtlichen Verfahren hinweist, auch die (formellen und materiellen) Voraussetzungen für eine Abberufung nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 PfDG erfüllt sind. Denn von dieser Ermächtigung hat – woran der Wortlaut des angefochtenen Bescheides keinen Zweifel lässt – die Kirchenleitung keinen Gebrauch gemacht.
Die Abberufung des Klägers genügt nicht den „strengen Anforderungen“, die im Falle einer Abberufung nach § 84 Abs. 2 PfDG an das Verwaltungsverfahren zu stellen sind.
Vgl. VGH der EKU, Urteil vom 12. November 1999, aa0., S. 19.
Es fehlt insoweit sowohl an dem nach § 84 Abs. 2 PfDG notwendigen Antrag des Presbyteriums der Kirchengemeinde N. als auch an dem ebenfalls nach dieser Vorschrift erforderlichen Antrag des Kreissynodalvorstandes. Zwar weisen der Beschluss des Presbyteriums vom 11. Februar 2002, mit dem die Aufhebung der Übertragung der Pfarrstelle an den Kläger beantragt wurde, und der zustimmende Beschluss des Kreissynodalvorstandes vom 11. März 2002 das nach § 84 Abs. 2 PfDG erforderliche Quorum (Mehrheit von 2/3 des ordentlichen Mitgliederbestandes) auf. Doch können beide Beschlüsse nicht als Antrag nach § 84 Abs. 2 PfDG angesehen werden.
Überschrift und Text des Presbyteriumsbeschlusses vom 11. Februar 2002 bringen eindeutig zum Ausdruck, dass mit dem Antrag ein Abberufungsverfahren nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 PfDG in Gang gesetzt werden soll. Diesem auf den Abberufungstatbestand des § 84 Abs. 1 Nr. 2 PfDG fixierten Antrag hat der Kreissynodalvorstand uneingeschränkt zugestimmt, wobei die Aufnahme eines Tatbestandsmerkmals des § 84 Abs. 1 Nr. 2 PfDG („gedeihlich“) in die Begründung die Zielrichtung noch bestätigt. Beiden Beschlüssen ist gemeinsam, dass sie sich auf den Abberufungstatbestand des § 84 Abs. 1 Nr. 2 PfDG festlegen. Dass es beiden Gremien, wie seitens der Beklagten geltend gemacht, einzig und allein darum gegangen sei, die Abberufung des Klägers – ganz gleich wie – zu erreichen, ist unter diesen Umständen nicht erkennbar. Damit fehlt der notwendige Anstoß für ein Abberufungsverfahren nach § 84 Abs. 2 PfDG.
Jedenfalls bei der vorliegenden ausdrücklichen Ausrichtung der Antragstellung an § 84 Abs. 1 Nr. 2 PfDG kann allein der Umstand, dass bei der Beschlussfassung im Presbyterium und Kreissynodalvorstand das Quorum des § 84 Abs. 2 PfDG erreicht worden ist, nicht genügen, um von einem wirksamen Antrag nach § 84 Abs. 2 PfDG auszugehen. Denn beiden Normen liegt eine unterschiedliche Verteilung der Verantwortlichkeiten zugrunde.
Da bei einem Vorgehen nach § 84 Abs. 2 PfDG die Überprüfungsbefugnis der Kirchenleitung im Vergleich zu den Fällen des § 84 Abs. 1 Nr. 2 PfDG eingeschränkt ist und sich dadurch die Rechtsstellung des betroffenen Pfarrers in ganz erheblicher Weise verschlechtert,
vgl. VGH der EKU, Urteil vom 12. November 1999, aa0., S. 20
übernehmen Presbyterium und Kreissynodalvorstand mit einem Antrag nach § 84 Abs. 2 PfDG weitaus mehr an Verantwortung als bei einem Antrag nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 PfDG. Denn bei dem letztgenannten Abberufungstatbestand obliegt es der Kirchenleitung, das Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale („wenn ein gedeihliches Wirken in der Pfarrstelle nicht mehr gewährleistet erscheint“) festzustellen, was gerichtlich auch voll nachprüfbar ist, während die Entscheidung der Kirchenleitung nach § 84 Abs. 2 PfDG bis auf das Antragsquorum an keine weiteren Tatbestandsvoraussetzungen geknüpft ist und nur der gerichtlichen Kontrolle auf Verfahrens- und Ermessensfehler unterliegt.
Die Festlegung des Presbyteriums auf ein Vorgehen nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 PfDG ist im weiteren Verfahren perpetuiert worden. Denn nach der von einer Mitarbeiterin des LKA erstellten Niederschrift ist das Presbyterium seitens des LKA dezidiert zu der beabsichtigten Abberufung des Klägers gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 2 PfDG angehört worden; auch inhaltlich ist die Beschlussfassung des Presbyteriums nochmals in den Kontext mit § 84 Abs. 1 Nr. 2 PfDG gestellt. Damit fehlt jegliche Mitwirkung des Presbyteriums an der Ausrichtung des Abberufungsverfahrens nach § 84 Abs. 2 PfDG mit der Folge, dass der Kirchenleitung der Rückgriff auf diesen Abberufungstatbestand versagt ist. Eine Wahlmöglichkeit zwischen einer Abberufung nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 PfDG oder § 84 Abs. 2 PfDG besteht für sie nur im Falle eines Antrags des Presbyteriums nach § 84 Abs. 2 PfDG. Denn gemäß § 85 Abs. 1 Satz 2 PfDG kann sie in dem Fall des § 84 Abs. 1 auch von Amts wegen beschließen, ist also für ein Vorgehen nach § 84 Abs. 1 PfDG nicht auf einen Antrag des Presbyteriums angewiesen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entstehungsgeschichte des § 84 Abs. 2 PfDG, zu der der Verwaltungsgerichtshof der Evangelischen Kirche der Union in dem vorerwähnten Urteil (aa0, S. 20) Folgendes ausgeführt hat: „Ausweislich der Entwurfsbegründung sollen durch die Neuregelung „unter Umständen sehr langwierige und für alle Beteiligten beschwerliche Verfahren, insbesondere Feststellungen eines nicht gedeihlichen Wirkens, vermieden werden“, ist die entscheidende Kirchenleitung „aber auch in diesem Fall nicht an die Vorentscheidung der antragstellenden Organe gebunden“. Die Textstelle besagt vielmehr, dass auch dann, wenn im Hinblick auf das Quorum des § 84 Abs. 2 PfDG die fehlende Gewährleistung eines gedeihlichen Wirkens des Pfarrers in der Pfarrstelle gesetzlich vermutet wird, die Kirchenleitung gleichwohl von einer Abberufung absehen kann, also nicht durch die Antragstellung gebunden ist.
So auch der VGH der EKU (S. 20), der in diesem Zusammenhang bemerkt:
„Die Verwendung des Begriffs „können“ verdeutlicht zweifelsfrei, dass der Kirchenleitung ein Ermessen eingeräumt ist.“
Steht der Rechtmäßigkeit der Abberufungsentscheidung nach § 84 Abs. 2 PfDG damit schon der fehlende Antrag des Presbyteriums und des Kreissynodalvorstandes entgegen, kann dahin stehen, ob die Anhörung des Klägers möglicherweise nicht ordnungsgemäß erfolgt ist, weil unter Zugrundelegung der hierüber gefertigten Vermerke dabei offen geblieben ist, ob eine Abberufung nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 PfDG oder § 84 Abs. 2 PfDG erfolgen sollte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 66 Abs. 1 VwGG.