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Kirchengericht:Verwaltungskammer der Evangelischen Kirche von Westfalen
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:04.10.2021
Aktenzeichen:VK 1/19
Rechtsgrundlage:§ 4 Abs. 1 Nr. 7 BHV NRW
Vorinstanzen:keine
Schlagworte:Beihilfe, Hydrogel, Medizinprodukt, Straßenentfernung, Taxifahrt, Verbandmittel, Vergleichsvorschlag, Wundspüllösung, fiktive Beförderungskosten
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Leitsatz:

  1. Verbandmittel, zu denen auch Hydrogele gehören, sind gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 7 BHV NRW auf ärztliche Verordnung beihilfefähig.
  2. Für die Beihilfefähigkeit von Verbandmitteln ist nicht entscheidend, ob es sich um Medizinprodukte handelt, die in Anlage V der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß § 91 SGB V über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien) aufgenommen worden sind. Diese Einschränkung dürfte nach dem Wortlaut von § 4 Abs. 1 Nr. 7 BHV NRW lediglich bei der Beihilfefähigkeit von Medizinprodukten gelten, die nicht schon unter die ausdrücklich als beihilfefähig bezeichneten Verbandmittel sowie Harn- und Blutteststreifen fallen.
  3. Ob ein Medizinprodukt Verbandmittel im Sinne des Beihilferechts ist, richtet sich nach den §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 1, 2 Satz 10 und Abs. 3 i. V. m. Anlage Va, Teil 2, der Arzneimittel-Richtlinien, an denen sich die Beihilfeverordnung der Sache nach orientiert.

Tenor:

Den Beteiligten wird zur gütlichen endgültigen Beendigung des Rechtsstreits gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 VwGG.EKD der Abschluss des folgenden
Vergleichs
vorgeschlagen:
  1. Die Beklagte bewilligt dem Kläger insgesamt noch weitere 373,26 Euro (298,08 Euro + 11,18 Euro + 64,00 Euro) nach und die Beteiligten betrachten damit sämtliche Forderungen aus den angegriffenen Beihilfebescheiden als erledigt.
  2. Die Beklagte trägt 3/5, der Kläger 2/5 der Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe:

Ausgehend von einer vorläufigen rechtlichen Prüfung der Klagebegründung vom 2.10.2020 erscheint es sachgerecht, den Beteiligten eine gütliche Einigung vorzuschlagen.
Bei Lavanid Wundgel und Prontosan Wundspüllösung dürfte es sich entgegen der bisherigen Annahme der Beklagten um Verbandmittel handeln, die gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 7 BHV NRW auf ärztliche Verordnung beihilfefähig sind. Nicht entscheidend ist bei Verbandmitteln, ob es sich um Medizinprodukte handelt, die in Anlage V der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß § 91 SGB V über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien) aufgenommen worden sind. Diese Einschränkung dürfte nach dem Wortlaut von § 4 Abs. 1 Nr. 7 BHV NRW lediglich bei der Beihilfefähigkeit von Medizinprodukten gelten, die nicht schon unter die ausdrücklich als beihilfefähig bezeichneten Verbandmittel sowie Harn- und Blutteststreifen fallen.
Ob ein Medizinprodukt Verbandmittel im Sinne des Beihilferechts ist, richtet sich nach den §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 1, 2 Satz 10 und Abs. 3 i. V. m. Anlage Va, Teil 2, der Arzneimittel-Richtlinien, an denen sich die Beihilfeverordnung der Sache nach orientiert. Zu den hiernach als Verbandmittel verordnungsfähigen Produktgruppen gehören auch Hydrogele. Als solche werden Lavanid Wundgel und Prontosan Wundspüllösung ausdrücklich etwa in einer Handreichung der Arbeitsgruppe Arzneimittel Rheinland-Pfalz von 2019 über zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erstattungsfähige Verbandmittel aufgeführt (https://www.aok.de/pk/fileadmin/user_upload/AOK-Rheinland-Pfalz-Saarland/05-Content-PDF/Gesundes_Leben/Arztberatung/201909AOKRPS_ModerneWundtherapie.pdf, S. 3, 16). Insofern lässt sich die als Anlage K1 zum Schriftsatz vom 2.10.2020 vorgelegte Kundeninformation des Herstellers von Lavanid rechtlich nachvollziehen. An der medizinischen Notwendigkeit dürften keine begründeten Zweifel bestehen.
Ausgehend davon wird zunächst angeregt, dass die Beklagte 80 % von 4 x 93,15 Euro (= 298,08 Euro) nachgewiesene Ausgaben für Lavanid am 19.9., 1.8., 8.6. und 12.10.2018 (Beihilfebescheide vom 18.10.2018, Nr. 158, Beleg 16, Nr. 159, Beleg 61, und Nr. 160, Beleg 64, sowie vom 22.10.2018, Nr. 161, Beleg 6) und von 1 x 13,98 Euro (= 11,18 Euro) für Ausgaben für Prontosan am 2.10.2018 (Beihilfebescheid vom 18.10.2018, Nr. 158, Beleg 12) nachbewilligt.
Die vom Kläger beanstandete Berechnung der Beförderungskosten für Taxifahrten nach N. am 30. und 31.8.2018 sowie am 3., 6., 7. und 26.9.2018 im Beihilfebescheid Nr. 158 vom 18.10.2018, Belege 41 und 51, ist durch Nachbewilligung von 209,08 Euro mit Widerspruchsbescheid vom 4.3.2019 bereits dahingehend korrigiert worden, dass für jeden Behandlungstag 80 % von 80,00 Euro bewilligt worden sind (vgl. S. 5 des Widerspruchsbescheids sowie Beihilfebescheid vom 4.3.2019, Nr. 165, Beleg 41 und 51). Dies ist im Verwaltungsvorgang auch auf Blatt 5 im Beihilfebescheid Nr. 158 handschriftlich vermerkt. Mit Beihilfebescheid vom 11.12.2019, Nr. 176, sind die Fahrten am 30. und 31.8.2018 sodann in Gänze als beihilfefähig anerkannt worden.
Weiterhin umstritten zwischen den Beteiligten ist die Frage, ob ab 1.9.2018 eine Behandlung im M.hospital in P. statt in N. möglich gewesen wäre. Zwar ist in den Beförderungsverordnungen des Ambulanten Gefäßzentrums N. für alle vier Beförderungstermine im September 2018 (Blatt 13, 15 bis 17 des Verwaltungsvorgangs) jeweils eingetragen „Therapie nur hier möglich“. Ob und ggf. welche Versuche unternommen worden sind, möglichst frühzeitig zur Reduzierung der Kosten eine Weiterbehandlung in P. zu organisieren, ergibt sich hieraus aber nicht. Insbesondere liegt weiterhin keine verbindliche Bestätigung des M.hospitals in P. vor, dass die Tochter des Klägers im September 2018 dort nicht weiter behandelt werden konnte. Im Gegenteil hat der Kläger selbst mit seinem Widerspruch vom 6.2.2019 geltend gemacht, dort seien bis zu den Sommerferien alle Termine vergeben und „erst im September“ wieder Termine frei gewesen. Gemessen daran ist nach seinen eigenen Angaben nicht auszuschließen und sogar naheliegend, dass bereits vor den Sommerferien Termine für Anschlussbehandlungen im September 2018 hätten vereinbart werden können. Deshalb dürfte es zu Lasten des Klägers gehen, wenn er sich nunmehr abweichend von seinem früheren Vorbringen darauf beruft, er hätte nach den Sommerferien erst frühestens Mitte Oktober wieder Termine erhalten können. Für die Erstattungsfähigkeit kommt es nämlich darauf an, ab wann eine geeignete (Weiter-)Behandlung in P. möglich war. Diese Möglichkeit dürfte aber schon ab dem Zeitpunkt gegeben gewesen sein, ab dem bei vorausschauender Planung Termine verfügbar gewesen wären. Hierzu ist nach den bisherigen Angaben des Klägers nur bekannt, dass dies „im September“ der Fall gewesen sein soll. Einen gerichtsverwertbaren Beleg dafür, dass abweichend hiervon auch bei frühzeitiger Terminvereinbarung schon vor den Sommerferien (die akute Erkrankung begann im Juni 2018) ab Anfang September 2018 in P. keine Termine zur Weiterbehandlung mehr zu erreichen gewesen wären, hat der Kläger nicht vorgelegt. Hierfür hat er auch nicht Beweis angetreten.
Bezogen auf die vom Kläger bestrittene Höhe fiktiver Beförderungskosten nach P. hat die Bezirksregierung E. für die Beklagte im Oktober 2018 vom Taxiunternehmen für eine Einzelfahrt eine Summe von 40,00 Euro genannt bekommen, wie sich aus dem Beihilfebescheid vom 18.10.2018, Nr. 158, ergibt. Da bis zum Zeitpunkt der Bestätigung vom 12.3.2019, die der Kläger als Anlage K3 zum Schriftsatz vom 2.10.2020 vorgelegt hat, Preissteigerungen denkbar sind, liegt nicht notwendig ein Widerspruch darin, dass das Taxiunternehmen darin diese Fahrtkosten abweichend auf 50,00 Euro veranschlagt hat. Dennoch erscheint die bisher von der Bezirksregierung E. veranschlagte Summe von 40,00 Euro auch für die jeweiligen Beförderungszeitpunkte im September unschlüssig niedrig. Denn die Straßenentfernung vom Haus des Klägers in M. zum Ambulanten Gefäßzentrum in N. ist mit etwa 37 km pro Strecke nicht so viel länger als die Strecke bis zum M.hospital in P., die ungefähr 26 km lang ist, dass hierdurch der vergleichsweise hohe Differenzbetrag zu den tatsächlich berechneten Kosten erklärt werden könnte: Ausgehend von den in der Abrechnung vom 30.9.2018 berechneten Fahrtkosten nach N. je Behandlungstag in Höhe von 140,18 Euro (Bl. 12 des Verwaltungsvorgangs) dürften für nicht wesentlich kürzere Fahrten nach P. und zurück 80,00 Euro schon seinerzeit kaum ausgereicht haben.
Vor diesem Hintergrund wird insoweit angeregt, von den vier Fahrten nach N. im September 2018 anstelle von bisher 80,00 Euro je Behandlungstag jeweils 100,00 Euro entsprechend der realistischer erscheinenden Bestätigung vom 12.3.2019 als beihilfefähig anzuerkennen und dementsprechend 80 % des Differenzbetrags zum bisherigen als beihilfefähig anerkannten Betrag von insgesamt 80,00 Euro (= 64,00 Euro) hierfür nachzubewilligen.
Gemessen an diesem Vorschlag für eine Einigung in der Sache erscheint es schließlich sachgerecht, dass die Beklagte 3/5, der Kläger 2/5 der Kosten des Verfahrens trägt, für das keine Gerichtskosten erhoben werden. Ausgehend von der im Rahmen des Klageverfahrens und durch diesen Vergleich insgesamt nachbewilligten Summe in Höhe von 498,06 Euro (zunächst mit Bescheid vom 11.12.2019 in Höhe von 124,80 Euro, sodann durch diesen Vergleich in Höhe weiterer 373,26 Euro) erscheint es angemessen, dass die Beklagte für Anwaltskosten des Klägers nach einem Streitwert von bis zu 500,00 Euro aufkommt. Die höheren Kosten, die dadurch angefallen sind, dass der Kläger der Sache nach insgesamt klageweise Forderungen in Höhe von 658,67 Euro (498,06 Euro + 160,61 Euro für den auch durch diesen Vergleich nicht anerkannten Betrag aus Beleg Nr. 51 des Beihilfebescheids vom 4.3.2019) geltend gemacht hat, hat er selbst zu tragen. Ausgehend davon ergibt sich die vorgeschlagene Kostenteilung.